Wesentliche Lücken in der Eurotrak-Studie des Herstellerverbands HSM 2022

Der Verband Hörsystemakustik (HS) publizierte auf seiner Website die wichtigsten Erkenntnisse der Eurotrak-Studie 2022. Für die Schweiz wurde diese Studie vom Herstellerverband HSM Schweiz in Auftrag gegeben: 14‘735 schwerhörigen Schweizer:innen wurden dafür online befragt. Mit 799 Hörgerätetragenden wurden zudem Einzelinterviews durchgeführt.

Im Ländervergleich, Seite 16 der Zusammenfassung von HS, steht (Ausschnitte):
….Den Schweizern ist gutes Hören wichtig …..Die Menschen mit Hörverlust profitieren von allen Vorteilen einer Hörgeräteversorgung…..Die Menschen mit Hörverlust nutzen ihre Hörgeräte am intensivsten….. Die Hörgeräteträger sind mit dem Kauf ihres Hörgerätes äusserst zufrieden.

Es wird ein durchwegs positives Bild gezeigt. Die Aussage wie „Die Hörgeräteträger sind mit dem Kauf ihres Hörgerätes äusserst zufrieden erklärt lediglich die Zufriedenheit der Betroffenen mit der Qualität der Hörgeräteversorgung.

Für den Schwerhörigen-Verein Nordwestschweiz (SVNWS) ist jedoch die Frage nach der Zufriedenheit mit der Finanzierung der Hörgeräte die wesentliche Fragestellung.

Bei der Zusammenfassung auf der Website von HS wurden folgende Fragekomplexe nicht erwähnt:

Frage A: 10 Gründe, warum jemand kein Hörgerät trägt?
(Es haben 126 schwerhörige Menschen geantwortet, die keine Hörgeräte tragen)

Antworten:

  • an erster Stelle steht: „Ich höre genug in den meisten Situationen“
  • an zweiter Stelle steht: „Wegen der Einschätzung des HNO-Arztes“
  • an dritter Stelle (von 10 Stellen): „Ich kann mir keine Hörgeräte leisten“:

38 % können sich keine Hörgeräte leisten, 13% geben an, dass sie sich teilweise Hörgeräte nicht leisten können

Kommentar SVNWS:
Mehr als 50 % der Befragten haben Mühe mit der Hörgeräte-Finanzierung. Es darf grundsätzlich nicht sein, dass sich Menschen in der Schweiz keine Hörgeräte leisten können. Diese Antworten der Eurotrak-Studie 2022 sind ein weiterer Hinweis dafür, dass das Finanzierungssystem beim Hörgerätekauf Mängel aufweist.

Frage B: Sind Ihre Hörgeräte mit einer Telefonspule ausgerüstet?

Antworten:

  • 45 % der Hörgerätetragenden antworten, dass sie keine Kenntnis von der Telefonspule haben -
  • nur 15 % nutzen die Telefonspule

Was steckt dahinter? Was bringt eine Telefonspule?

Die modernsten Hörgeräte stossen ab einer Sprechdistanz von 5 Metern an ihre Grenzen. Wenn sich eine hörgerätetragende Person weiter weg von einer Tonquelle befindet, z. Bsp. in einem grossen Vortragssaal, hat sie Schwierigkeiten, das Gesprochene zu verstehen, denn das Signal wird von den Hörgeräten nur undeutlich und zu schwach übertragen. Die Geräusche in der Nähe überdecken das Sprachsignal, das von weiter weg kommt. Auch Lautsprecherboxen bringen zu wenig Sprachverständlichkeit, wenn sie zu weit weg stehen. Es gibt jedoch eine gute technische Lösung, die zu einer präzisen Sprachverständlichkeit auch bei grosser Sprechdistanz führt: Mit einer speziellen Höranlage, einer sogenannten induktiven Höranlage, kann das Sprachsignal drahtlos direkt in den Hörgeräten empfangen werden. Damit wird jedes Wort auch über grosse Distanz verständlich.

Aus Wikipedia:

Eine induktive Höranlage, auch Induktionsschleifenanlage, Induktionsschleife, seltener Ringschleifenanlage, ist eine technische Einrichtung, mit der Audiosignale wie Musik oder Redebeiträge in Veranstaltungsräumen für schwerhörige Personen zugänglich gemacht werden können. Die Tonsignale werden dazu in analoge elektrische Ströme umgewandelt und diese über eine im Raum ausgelegte Induktionsschleife als elektromagnetisches Wechselfeld ausgesendet. Mit Hörgeräten, die eine spezielle eingebaute Empfangsspule haben, können diese Tonsignale empfangen und störungsarm wiedergegeben werden.“

Um schwerhörigen Menschen den Zugang zu Gesellschaft zu ermöglichen, regelt das im 2004 eingeführte Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG), dass grössere Veranstaltungsräume über Höranlagen verfügen müssen.

Von Seiten der Veranstalter muss deshalb eine Höranlage für Menschen mit Hörgeräten eingebaut werden: hier funktioniert der Kontrollmechanismus über die Einhaltung des BehiG gut.

Wie im Jahr 2022 aus der Eurotrak-Studie ersichtlich wurde, wissen 45 % der Hörgerätetragenden nicht, was eine T-Spule ist. Wenn Höranlagen von Betroffenen nur dank dieser T-Spule genutzt werden können, dann ist dieses Nichtwissen fast der Hälfte der Betroffenen ein deutlicher Hinweis darauf, dass auf Seiten der Hörgeräteanbietenden in der Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes eine grosse Lücke besteht. Dies ist kaum nachzuvollziehen, wenn man weiss, dass Hörgeräte mit integrierter T-Spule kaum teurer sind als solche ohne T-Spule. Die Gründe, weshalb die T-Spule so wenig gefördert wird, müsste man direkt bei den Anbietern erforschen.

Die Resultate der Studie bezüglich T-Spule decken sich mit den Erfahrungen des SVNWS. Über mehrere Jahre hat der SVNWS versucht, im Austausch mit den lokalen Anbietenden den Verkauf von Hörgeräten mit T-Spule zu fördern. Dies hat nur in vereinzelten Fachgeschäften Früchte getragen. Ein grosser Teil der Anbieter interessiert sich nach wie vor nicht dafür, wie dies die Eurotrak-Studie Seite 49 zeigt.

Der Schwerhörigen-Verein Nordwestschweiz fordert deshalb, dass bei vergütungsberechtigten Hörgeräten Qualitätsrichtlinien (wie Hörgeräte mit T-Spule) eingeführt und kontrolliert werden.

Alle Mitglieder der Pro Audito-Selbsthilfevereine kennen die T-Spule. Bei praktisch allen Aktivitäten der Vereine wird eine drahtlose Tonübertragung direkt in die T-Spulen der Hörgeräte der Teilnehmenden gesendet. Hörgeräte mit integrierter T-Spule sind kaum teurer als solche ohne T-Spule.

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